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So, jetzt habe ich mir Bücher zum Thema Zeitgeist bestellt, eines entpuppte sich als Lehrbuch der deutschen Sprache für englischsprachige Menschen, naja, irgendwie mussten die das halt nennen. Das andere ist von Rainer Holbe, Knaur Verlag 1991, da werden von ihm einige Prominente interviewt, die berufen scheinen, etwas zum Thema Zeitgeist zu sagen. Darunter Franz Alt, Wolfgang  Leonhard, Udo Jürgens, Helmut Thoma und andere. Interessant zu lesen, ein einheitlicher Zeitgeist lässt sich für mich nicht erkennen, vielleicht eine Tendenz (die Bücher heißen beide „Zeitgeist“).

Zum Filmegucken bin ich noch nicht gekommen. Oder doch, was macht der Mensch, wenn er einen entzündeten Zahn hat und wegen Antibiotika und Schmerzmitteln etwas ausgeknockt ist, am Sonntagvormittag? Richtig, man schaut einen Heimatfilm. In dem Falle den Film „Bei der blonden Kathrein“ aus dem Jahr 1959. Es ist halt heile Welt, gell. In den Hauptrollen Marianne Hold, Jahrgang 1933 – Mensch, da war die 26, sieht aber aus heutiger Sicht aus wie 46. In ihrer Filmografie finden sich Werkewie „Aus dem Tagebuch eines Frauenarztes“. Jetzt reißen Sie sich mal am Riemen und lassen den Bollerwagen Ihrer Fantasie nicht auf schlammige Pfade geraten, wie Max Goldt sagen würde! DerFilm war damals ernst gemeint! Würde heute wahrscheinlich nicht mehr so durchgehen. Jedenfalls nicht im Genre Heimatfilm. Dann in der männlichen Hauptrolle Gerhard Riedmann, Jahrgang 1925, der sieht in dem Film ungefähr so alt aus, wie er damals war. Etwas jünger vielleicht. Ich gucke die Filme auch aus historischem Interesse, was sagen sie uns über den Zeitgeist von damals? Die Handlung spielt am Bodensee, und man zeigt schon gern die Früchte des wirtschaftlichen Aufschwungs, fährt Mercedes Cabrio. Die Segel- und Motorboote, damals sicher auch Leuten mit besserem Einkommen vorbehalten, sind aber durchaus noch bescheiden, aus Holz, um die 6 Meter lang, man sieht sogar Faltboote. Mir fällt auf, dass sich der Zeitgeist rückblickend leichter einordnen lässt. Damals galt wohl die Parole: Nach vorn schauen, genießen, auch den Frieden, die Vergangenheit ruhen lassen, anständig sein, die Natur ist schön, man isst gut und gerne. Kriegsversehrte oder Traumatisierte kommen nicht vor, war da was? Das Kriegsende lag da 14 Jahre zurück. Immerhin ist die Frau in dem Film Hotelbesitzerin und selbständig. Eine Liebeserklärung ist ihr aber doch mental zu viel, sie muss sich erst sammeln, kann nicht sofort antworten. Der Mann weiß genau, was er will, nämlich nur sie. Kämpfen um sie tut er aber nicht, sie muss nach einigen Missverständnissen dann schon reuig zu ihm kommen, damit das was wird. Harald Juhnke ist auch zu sehen, noch recht frisch. Gibt es auch auf DVD.

Man versteht aber auch den Zeitgeist der Jugend einige Jahre später, nämlich genau fünf Jahre später, 1964, müssen die Beatles in dieser piefigen Welt doch eingeschlagen sein wie eine Schauerböe ins übertakelte Regattafeld. Man rümpft vielleicht die Nase ob solcher Heimat-Filme, aber ist die Sehnsucht nach einer heilen Welt denn so verwerflich? Damals kamen die Filme im Kino, heute unvorstellbar, so hat sich der Zeitgeist gewandelt. Lieben Sie Ihre Heimat? Warum nicht? Oder jetzt doch wieder?

Immerhin verstehe ich diese Art Filme, sie sind berechenbar und natürlich mit Happy End. Wahrscheinlich konnte man sich auch im Betrieb oder Büro darüber unterhalten oder beim Familienkaffee mit Schwarzwälder Kirschtorte. Heute muss man erst mal jemanden finden, der auch ins Kino geht, dann hat der aber ganz andere Filme gesehen als man selbst. Was ich nicht verstehe, nicht mal im Ansatz, sind diese Comic-Verfilmungen. Ganz normale Menschen sind plötzlich Superhelden und dann wieder in ihrem Alltag. Verstehe ich nicht. Vor Jahren im Krankenhausmusste ich mal Spider-Man gucken, weil mein Bettnachbar das unbedingt wollte. Ich verstehe da nix. Mein aktueller Filmtipp wäre „Belfast“ von Kenneth Branagh. Die Unruhen in Belfast 1969 aus der Sicht eines 9-Jährigen, großartig gespielt von Jude Hill, es geht um die Konflikte der Eltern, die Großeltern, um den größeren Bruder und eine Cousine, Gewalt und Normalität. Hat mich sehr angerührt.

Heute ist es vielleicht so, dass der Zeitgeist sich immer weiter verzweigt. In den 50ern trugen alle, auch die Jugendlichen, Anzüge und Hüte und Lederschuhe. Gut, erste Rockergruppen bildeten sich und die sogenannten Halbstarken, aber im Grunde war alles noch sehr uniform, die Jugend als Lebensabschnitt wurde gerade entdeckt. Heute teilen sich schon die Heavy-Metall-Fans in alle möglichen Untergruppen. Es gibt mehrere Zeitschriften nur für Stand-Up-Paddling – warum konnte Gott das zulassen? Gut finde ich dagegen die Zeitschrift “Rute und Rolle“, eine Anglerzeitschrift. Die musste halt auch irgendwie heißen. Wenn man es nicht weiß, könnte man auch an ein Druckerzeugnis der SM-Szene denken. In Schöneberg würden die das sofort denken, sorry. Naja, wahrscheinlich ist es auch an der Zeit, aus der Pubertät mal rauszukommen und sich nix Arges dabei denken, auch wenn an der Bäckerei in Kreuzberg steht: Tee – 1,00 €, Kaffee – 1,50 €, Latte – 2,00 €. Mit einem Laptop im Kaffee sitzen und dazu eine Latte trinken, aber sowas von Zeitgeist! Und wie immer zum Ende: Bleiben Sie schön gierig, vor allem auf Neues!